Tolle Rieslinge aus der Südpfalz: eine Frau weiß, was sie will

Die erst 31-jährige Victoria Lergenmüller vom Weingut St. Annaberg in Burrweiler ließ sich von der Geschichte ihrer Familie – 15 Generationen Weinbauern – nicht einschüchtern, sondern entwickelte früh einen eigenen Blick auf diesen Beruf. Winzerin zu werden und auch die Familienjagd weiter zu pflegen, das war gesetzt. Doch Weinerzeugung mit Reinzuchthefen, den Schwerpunkt auf die Burgundersorten legen, nur mit Stahltanks arbeiten und einen Winzer heiraten – das waren nicht ihre Ziele. Beim Apriltreffen der Weinheimer Weingilde beschrieb sie nun ihren bisherigen Weg und illustrierte mit insgesamt sieben Weinen ihre Herangehensweise. Vor zehn Jahren erfüllte sie sich ihren Traum, Rieslinge zu machen, indem sie die Betriebsleitung des Weinguts St. Annaberg übernahm, das ihre Familie in den 1990er Jahren bei einer Zwangsversteigerung erworben hatte. Zu dieser Zeit war sie mitten im Studium in Geisenheim. Nach dem Abschluss dort mit 23 Jahren stand ihr der Sinn nach einem Erkunden der Welt. Um das mit der Zuständigkeit für ein Weingut in Einklang bringen zu können, entschied sie sich für ein Masterstudium in Bordeaux, das sie trotz regelmäßiger Flüge nach Hause – schließlich musste das Weingut bewirtschaftet werden – erfolgreich abschloss. Die Liebe führte sie dann letztlich doch zurück – zu einem Metzger mit eigener Schlachterei und eigenem Geschäft, und inzwischen gehören zur Familie auch schon zwei Mädchen.

Ihr gesamte Herkunftsfamilie – Großeltern, Eltern, Onkel, Schwester und sie – bewirtschaftet mit klarer Aufgabenteilung insgesamt 200 Hektar, darunter seit 2013 das Weingut Schloss Reinhartshausen, zu dem auch die größte Rheininsel, Mariannenaue mit 23 Hektar Rebfläche, gehört. Das Weingut St. Annaberg steuert nur 7 Hektar bei, doch die haben es in sich: Sie gehören zu den höchsten Lagen in der Pfalz und umfassen eine Reihe von Parzellen, die laut VDP als Große Lagen klassifiziert sind.

Von den sieben Hektar sind fünf mit Rieslingen bestockt, und so gab es an diesem Abend sechs Rieslinge zu verkosten (fünf aus dem Jahr 2020 und einen von 2018). Doch Victoria Lergenmüller wollte auch zeigen, dass sie nicht nur ein Händchen für Rieslingweine hat, sondern auch reizvolle Rotweine produziert. Deshalb gab es zum Schluss noch einen Spätburgunder von 2018.

Vier der gleich alten Rieslinge kamen aus Einzellagen, deren Böden sich deutlich unterscheiden – Terrassenlage, Gleisweiler Hölle, Ilbesheimer Kalmit und Burrweiler Schäwer –, und so war ihre Verkostung eine Reise durch die Vielfalt an Aromatik, die die Rieslingtraube je nach Bodenbeschaffenheit entwickelt. Der fünfte war eine Lagencuvée unter dem Namen Edition Johanniskreuz, was darauf hinweisen soll, dass das Holz für die 550-Liter-Holzfässer, in denen dieser Wein anders als seine Vorgänger vergoren und ausgebaut wurde, von Eichen aus der Gegend um Johanniskreuz stammt. Um den Holzeinfluss feinjustieren zu können, nutzt Victoria Lergenmüller bei jeder Lese parallel Fässer unterschiedlichen Alters (4–7 Jahre).

Nach fünf trockenen Weinen, deren Zuckergehalt allerdings eher im oberen Trockenbereich lag, wofür die von ihr zu 90% angewendete Spontanvergärung ursächlich ist, gab es als letzten Riesling einen „Unfall“. 2014 wollte sie aus selektiv gelesenen Trauben einen Wein mit hohem Alkoholgehalt und deutlich durch neues Holz geprägter Aromatik machen, doch dieser Wein hörte kurz vor Weihnachten einfach auf, weiter zu gären. Fast hätte sie ihn schon aufgegeben, da probierte sie doch einen Schluck und war überrascht, wie wenig süß und wie harmonisch der Wein trotz seines hohen Restzuckergehalts schmeckte. Also wurde er abgefüllt und verkauft. Die Käufer waren so von ihm angetan, dass sie im nächsten Jahr wieder danach verlangten. Damit hatte Victoria Lergenmüller ein Problem: Wie sollte sie das Missgeschick aus dem Vorjahr nachstellen? Es zeigte sich, dass es machbar ist – zeitlich genau passendes, vorsichtiges Stoppen des Weitergärens durch Schwefelgabe –, aber so aufwendig und risikobehaftet, dass sie sich diesem Stress nur alle zwei Jahre aussetzt. Die Weingilde bekam den 2018er des Promptus genannten Riesling eingeschenkt, dessen 27,6 g/l Zucker durch die 7 g/l Säure erstaunlich gut eingebunden waren. Die Trauben für diesen Wein stammen alle aus der Terrassenlage mit ihren Verwitterungsböden und wurden im vierten Durchgang gelesen, und der Wein bleibt ein Jahr im Fass, bevor er in Flaschen gefüllt wird.

Mit dem abschließenden Rotwein, einem trockenen Spätburgunder von 2018 aus der St. Annaberg Monopollage, wurde den Gästen des Abends eine besondere Ehre zuteil: Victoria Lergenmüller sagte, dass sie die ersten seien, denen sie diesen Wein im Rahmen einer Verkostung vorstellt. Die Rebstöcke sind zwar schon etwa 40 Jahre alt, aber bislang wurden ihre Trauben nur im väterlichen Betrieb weiterverarbeitet. 2018 war sie so weit, dass sie ihrem Lieblingskind Riesling ein rotes Geschwisterchen zur Seite stellen und deshalb den Spätburgunder aus ihrer Lage selbst ausbauen wollte; sie nutzte eine sehr lange Maischegärung, um eine gute Rotfärbung und eine optimale Extraktion anderer wichtiger Geschmackskomponenten zu erreichen. Der Wein war schon sehr eindrucksvoll, dürfte aber in den nächsten Jahren weiter an Charakter gewinnen.

Der Obergildemeister bedankt sich für einen wunderbaren Abend.

Mit großem Applaus dankten die Besucher des Abends Victoria Lergenmüller für ihre sehr unterhaltsamen und zugleich lehrreichen Schilderungen und die ausgezeichneten Weine.

Hier geht’s zur Homepage des Weinguts.

Verkostete Weine

2020Riesling
Terrassenlage
2020Riesling
Gleisweiler Hölle
2020Riesling
Ilbesheimer Kalmit
2020Riesling – SENATSWEIN 2020
Burrweiler Schäwer
2020Riesling
Edition Johanniskreuz
2018Riesling
Promptus
2018St. Annaberg Monopollage
Spätburgunder trocken

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